Meditation zum Weihnachtsrelief

Foto: Jost

Bildhauer Andreas Tollhopf hat die meist herkömmlichen Plätze von Maria und Josef vertauscht. Maria sitzt Josef zu dessen linker Hand. Damit vereinigt er zwei Gedankengänge, nämlich die beiden biblischen Weihnachtsgeschichten. Die eine aus dem Lukasevangelium:

"Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, als Quirinius Statthalter in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt. Da machte sich auf, auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrautem Weibe, die war schwanger. Und als sie dort waren, kam die Zeit, da sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge." Und die andere, etwas weniger idyllische und harmonische aus dem Matthäusevangelium: "Die Geburt Jesu Christi geschah aber so: Als Maria, seine Mutter, dem Josef vertraut war, fand es sich, ehe er sie heimholte, dass sie schwanger war von dem heiligen Geist. Josef ... gedachte aber, sie heimlich zu verlassen. Als er das noch bedachte, siehe, da erschien ihm der Engel des Herrn im Traum und sprach: "Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist vom heiligen Geist. ... Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich." Maria sitzt Josef zur linken Hand, aber es sitzt die heilige Familie an und in der Krippe im Stall, „denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge." Was ist negativ? Was ist positiv? Was sieht Ihr Auge, vielleicht vor dem Hintergrund des Holzes, aus dem Ihre eigenen Lebens-Erlebnisse geschnitzt sind? Was Sie da positiv oder negativ sehen, das kann auch wechseln oder gewechselt haben. So hat Gott die Welt geliebt. Man sieht Josef in meditativer Hocke sitzen. Seine Arme fließen in die markanten Hände über. Die können arbeiten, wie Zimmermannshände arbeiten können. Hier aber ruhen sie auf den Knien. Der fliehen wollte, sitzt eng dabei. Das Kind hat Blickkontakt mit seiner Mutter Maria. Nichts stört diese lange Linie zwischen beiden Gesichtern. Die beiden geöffneten rechten Hände von Mutter und Kind „reden“ einander zugewandt wie mit der Gebärdensprache. Die jeweils anderen Hände beider zeigen mit ihren gekrümmten Fingern auf den jeweils eigenen Körper. Jesus und Maria werden nicht nur gemeinsame, sondern auch jeweils sehr eigene Wege gehen. Jesus ist das Kind Gottes und nicht allein das Kind seiner Eltern, weder des leiblichen noch des nichtleiblichen Elternteils. So hat Gott die Welt geliebt.

Klein, aber gut wahrnehmbar, ist wie in fernem Hintergrund zur Krippendarstellung die Felsburg zu sehen und die zart auslaufende Hügellandschaft des Edertals. Denn Bethlehem ist überall und auf der ganzen Welt wird die Weihnachtsgeschichte lokal beheimatet. Die Symmetrie des Bildes bleibt erhalten. Neben der Felsburg winkt die zu ihr gehörende legendäre „Schlüsselfrau“. Ihre Erscheinung – obwohl im Hintergrund wie die ganze Landschaft – ist fast genauso groß dargestellt wie der Burgberg. Sie wirkt also klein und riesig zugleich, so wie die biblischen Engel auftreten, unscheinbar und machtvoll zugleich. Das Kind in der Krippe - gleich die Rose - hat der Prophet Jesaja vorausgesagt.(Jes. 11,1 u. EG 30) Beide bilden die Mitte der Symmetrie. Die Rose steht wie der Weihnachtsstern am Himmel, das Kind in der Krippe ist unten zur Welt gekommen. Die weite Hügellandschaft liegt auf Marias Seite, die Burglegende teilt sich dem Betrachter auf Josefs Seite mit. „Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und der Engel des Herrn  trat zu ihnen und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie, und sie fürchteten sich sehr.“ Viele Städte kennen die Legende von der „Weißen Frau“, die in Felsberg "Schlüsselfrau" heißt. Sie ist einerseits eine engelhafte Erscheinung, unscheinbar und machtvoll zugleich, andererseits drückt die zu ihr gehörige Farbe Weiß nicht etwa ein Engelkleidchen aus, sondern die Blässe des Todes. Die Schlüsselfrau verweilt noch in Unerlöstheit. Erlösen kann sie die richtige Erleuchtung der Lebenden, solcher Menschen, denen die Klarheit des Herrn leuchtet, wie den Hirten auf dem Felde, die sich zum Jesuskind aufmachen, zwar angstvoll, aber heraus aus ihren Lebensbedingungen in neue Einsichten hinein. Die Hirten haben sich zur Krippe winken lassen. Nach der Legende unserer Burgstadt darf ein Betrachter, der die weiße Frau um Mitternacht des Jahreswechsels, also in der Weihnachtszeit, wahrnimmt, sich von ihrer Macht herbeiwinken und beschenken lassen. Und hier hat er die Auswahl zwischen irdischen Schätzen und einer Rose. Zur Einflussnahme auf die Entscheidung ist die Schlüsselfrau ohnmächtig.  Bisher wurde die Rose, das herkömmliche Symbol für Christus, verschmäht. Es weihnachtet zwar hier und da und dort, aber dann geht der Stress weiter. „Mehr konnte die Welt für den Christ nicht tun.“ (Bertolt Brecht). Als Christus-Symbol – übrigens wie auch der Rosenschlussstein in einer Kuppel des Altarraumes der Nikolaikirche – ist die Rose im Relief als gedrechseltes Einzelstück eingearbeitet. Das Kind in der Krippe wird von dem ihm zugedachten Symbol beleuchtet. Wir sind wie die Hirten auf dem Felde von der bescheiden wirkenden, aber mächtig beschenken könnenden Schlüsselfrau zur Krippe heran gewunken. Ohnmächtig wird auf unsere Entscheidung gewartet. Mit der Geburt Gottes als Kind in der Krippe hat Gott die Welt geliebt. Wie werden wir sie lieben können?