Zu den vier Seitenflügeln

Zu den vier »kleinen Flügeln« sei noch angemerkt, dass sie natürlich ebenfalls aus acht Eichenholzbohlen bestehen, freilich einmal nur halb so groß sein können, weil sie ja jeweils vor eines der beiden großen Reliefs geklappt werden sollen, um so das Großrelief zu bedecken und auf ihrer Rückseite zwei Motive einer anderen Kirchenjahreszeit zeigen sollen. Zum anderen sind sie auch nur halb so stark wie die großen Reliefs, denn es befinden sich zwei Flügel auf jeder Großreliefseite. Aufgeklappt und entfaltet bringt der Flügelaltar seine volle Pracht zur Geltung, nämlich in der Weihnachtszeit und in der Osterzeit, so dass sich die Motive der beiden kleinen Flügel in aufgeklappter Stellung auch dem Weihnachtsrelief, bzw. dem Osterrelief anzupassen haben. In zugeklappter Stellung nimmt der Flügelaltar wieder die altgewohnte zwei Quadratmeter Rechteckform an und präsentiert auf zwei Flügeln und deren Rückseiten Motive, die später einmal in Passions-, Trinitatis- und Adventszeit gehören sollen. Die Epiphaniaszeit kann der Weihnachtszeit zugeschlagen werden und die kurze Pfingstwoche soll auf einem Flügel der entfalteten Osterzeit erscheinen.

Adventszeit:

Der Altar ist zugeklappt und zeigt zwei adventliche Motive, die in der Ausführung noch ausstehen. Vorschlag: Linker Flügel: Maria und der Engel Gabriel am Brunnen; rechter Flügel: Marias Besuch bei Elisabeth, der Mutter des Johannes, kurz vor Jesu Geburt.

Weihnachts- und Epiphaniaszeit:

Der Altar ist aufgeklappt, zeigt in der Mitte das große Weihnachtsrelief und seitlich zwei weihnachtliche Motive, die in der Ausführung noch ausstehen. Vorschlag: Linker Flügel: Hirten auf dem Feld und Engel; rechter Flügel: Drei Weise aus dem Orient.

Passionszeit:

Der Altar ist zugeklappt und zeigt die Sakramente Taufe und Abendmahl.

(besonders für Gründonnerstag)

Oster- und Pfingstzeit:

Der Altar ist aufgeklappt und zeigt in der Mitte das große Osterrelief der Galiläatradition und seitlich das kleine Osterrelief der Jerusalemtradition und das in Arbeit befindliche Pfingstrelief.

Trinitatiszeit:

Der Altar ist zugeklappt und zeigt die Sakramente Taufe und Abendmahl, wie in der Passionszeit.

(6. Sonntag nach Trinitatis ist der Tauferinnerung gewidmet)

Am 23. Dezember 2006 haben wir zum ersten Mal den Flügelaltar komplett aufgebaut, wenn freilich auch die vier neuen Seitenflügel noch von ihren acht späteren Motiven unbearbeitet blieben. Aber ab Heiligabend 2006 stand der Gemeinde das fertige Weihnachtsrelief nicht mehr vor dem Altar, sondern auf der fertigen Konstruktion Flügelaltar vor Augen.

Ab Weihnachten 2006 stand Holzbildhauer Andreas Tollhopf vor der großen Aufgabe, nun auf acht kleinen Flügelseiten bei nur halber Holzstärke und in quadratischer Form Reliefs aufzubringen, bei denen er logischerweise nicht so tief ins Holz hineinarbeiten kann, wie im Weihnachts- und Osterrelief. Eine neue »Herkulesarbeit« stand an; oder mit einem Wort von Albert Camus einen altgriechischen Mythos beschreibend: „Il faut s‘imaginer Sisyphe comme un homme heureux“ – „Man muss sich Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“

Die beiden Seitenflügel: Abendmahl und Taufe

Für die Passions- und Trinitatiszeit beschloss der Kirchenvorstand am 17.01.2007 zusammen mit dem Bildhauer, das Gründonnerstagsabendmahl (Karwoche) und Jesu Taufe am Jordan (6. Sonntag nach Trinitatis) bald fertigzustellen. Übrigens: Auf ein weiteres Motiv der Karwoche oder der Passion Jesu verzichtete der Kirchenvorstand bewusst, weil über dem Altartisch und dem Flügelaltar von der Decke herabgehängt immer das Holzkreuz mit Korpus aus dem Jahr 1972 an dünnen Stahlseilen über allem erhöht »schwebt«.

Foto: Schaake

Am 19. April 2007 legte Bildhauer Andreas Tollhopf dem Kirchenvorstand in zahlreichen Kopien die beiden Reliefentwürfe "Taufe" und "Abendmahl" vor. Im Vergleich zu den großen Reliefs zu berücksichtigen, dass über die bekannte Hockstellung nicht mehr original menschliche Größe erreicht werden kann, weil ja jetzt bei den kleinen Flügeln jeweils nur die Hälfte der Fläche zur Verfügung steht. Die Fläche ist natürlich außerdem nicht mehr rechteckig, sondern quadratisch. Um all dies auch in eine künstlerische Form zu bringen, hatte sich Andreas Tollhopf dafür entschieden, beide Bilder und biblische Geschichten in eine so genannte Medaillonform zu bringen. Das bedeutet für unser Kunstwerk die Form eines Kreises im Quadrat, der die Motive aufnimmt. Die vom Bildhauer gewollten Freiflächen bleiben dennoch deutlich erhalten.

Im Detail wurde bei der Taufdarstellung die gezeichnete Taufschale diskutiert. Historisch kritisch wäre selbstverständlich anzumerken, dass wohl bei Jesu Taufe am Jordan Johannes der Täufer vermutlich keine Taufschale verwendet hat. In künstlerischer Freiheit aber könnte man die in unserer reformierten Tradition bekannte Taufschale, wenn auch als

Anachronismus, durchaus tolerieren, weil durch die Schale der taufende Johannes überhaupt als Täufer neben den übrigen Personen an der einen Uferseite des Jordan besonders erkennbar ist. Auf der anderen Uferseite hat Andreas Tollhopf textgetreu gut aufgenommen, dass bei Jesu Taufe viele Leute anwesend waren. In Reduzierung jedoch hat er sich für eine Frau, einen Mann, möglicherweise einen Jugendlichen und ein Kind entschieden, was also leicht sowohl als eine Familie, als auch als die Anwesenheit aller Generationen angesehen werden kann.

Eindrucksvoll und im Kirchenvorstand sofort erkannt und anerkannt, wurden nicht nur die Gesamtdarstellung des letzten Abendmahls Jesu vor seinem Tod im Kreis der Jünger, sondern auch besondere Details wahrgenommen. Unter den zwölf Jüngern neigt einer seinen Kopf an Jesu Brust und ist deshalb unzweifelhaft der in der Bibel dargestellte Lieblingsjünger. Alle übrigen Jünger wenden ihre Gesichter Jesus zu, mit einer Ausnahme, nämlich oben links schaut ein Jünger aus der Abendmahlsrunde heraus in die Ferne, es handelt sich also zweifellos um Judas. Dass das die die Zeichnungen betrachtenden Kirchenvorstandsmitglieder sofort erkannten, freute den Bildhauer sehr. Besonders markant sind wieder die Hände, einmal vier Jüngerhände, von denen zwei auf die Hände Jesu zeigen, die gerade das Brot brechen. Eine dritte Hand liegt freundschaftlich auf der Schulter des so genannten Lieblingsjüngers und eine vierte erhebt etwas belehrend erscheinend den Zeigefinger, möglicherweise ein Hinweis auf die Bedeutung, die das Abendmahl ja ab diesem Abend gewinnen wird. Jetzt aber folgte, von mehreren Kirchenvorstandsmitgliedern zur Sprache gebracht, eine Kritik. Angesichts unserer bibeltreuen evangelischen Tradition wünschte der Kirchenvorstand eine Vervollständigung. Auf dem Tisch fehlte ein Kelch. Andreas Tollhopf versprach das zu verbessern und in das Kunstwerk selbstverständlich aufzunehmen. Ein Punkt, nicht wegen der Kritik hier genannt, sondern als symptomatisch für inhaltliche Zusammenarbeit, gerade auch der theologischen Laien.

Leider entstand jetzt im laufenden Projekt »Flügelaltar« eine doch recht lange Pause bis nun schon das Jahr 2009 sein letztes Drittel erreichte. Der Kirchenvorstand hatte das dringende Verlangen, Andreas Tollhopf in seinem Atelier, das sich jetzt längst in Kassel-Wehlheiden in der Kantstraße befindet, zu besuchen. Er hatte eine ehemalige Bäckerei als Atelier eingerichtet und dazu die große Schaufensterscheibe integriert. Wie in den Niederlanden üblich, ist Einblick ins Atelier nicht nur toleriert, sondern gewollt. Tauf- und Abendmahlsrelief, die zu arbeiten im April 2007 gerade deshalb ausgewählt worden sind, weil sie sich in zwei der längsten Kirchenjahreszeiten, der Passions- und Trinitatiszeit, der Gottesdienstgemeinde zeigen und deshalb früher fertig werden sollten. Fast schon ungeduldig wurde die Rückkunft der Flügel erwartet. Der Flügelaltar stand seit Weihnachten 2006 zwar optisch in seinen ganzen Ausmaßen im Altarraum der Nikolaikirche, aber keiner der vier Flügel zeigte bis dahin ein Relief. (Dass zwei Flügel sich im Atelier in Kassel befinden, konnte man aus der Entfernung des Kirchenschiffs kaum wahrnehmen.) Auch hatte der Kirchenvorstand inzwischen doch schon wieder einige Spendenmittel in der Kasse. Am 21. Oktober 2009 fuhren alle Kirchenvorstandsmitglieder in die Kantstraße und erlebten recht zufrieden die fortgeschrittenen Arbeiten an beiden Reliefs.

Am 27. Januar 2010 fand ein zweiter Atelierbesuch statt, gemeindeweit angeboten, um nach der vergangenen Zeit möglichst vielen Menschen den Flügelaltar wieder mehr ins Bewusstsein zu rücken. An diesem Abend fuhren so viele aus Felsberg und Böddiger nach Kassel, dass das Atelier fast aus allen Nähten platzte.

Dieser Besuchsabend wurde Andreas Tollhopf nun aber derartig zum Ansporn, dass die Flügel »Abendmahl« und »Jesu Taufe« bis Ende März fertiggestellt waren. Sie erstrahlten gut beleuchtet und thematisch besonders in den Mittelpunkt gerückt der Gottesdienstgemeinde in der Nikolaikirche einmal am Gründonnerstag, 01. April 2010, (Abendmahl) und bald darauf zur Feier der Osternacht, 04. April 2010, (Taufe Jesu) im Tauferinnerungsteil der Osternachtliturgie.